Wir schlafen bis kurz vor sieben. Frühstück gibt es bei der Fastfoodkette mit dem M. Einfach, weil es gegenüber vom Eingang der Druckerei Rinas ist, weil man da auf die Toilette kann und nicht zuletzt auch, weil es dort WLAN gibt, um die Freunde zu Hause mit dem aktuellen Stand zu versorgen.
Kurz vor 8 schließt jemand die Tür zur Druckerei auf. Ich gehe gleich rein und bekomme die Aufkleber. Herr Höber erkundigt sich nach dem Verwendungszweck und ist ganz angetan von der Rallye. Er meint, so etwas bekommt viel zu wenig Öffentlichkeit – er ist zwar aus Hamburg, hat aber noch nie etwas davon gehört.
Wir fahren nach Strandpauli, wo der Start der Rallye stattfindet. Dort lässt man uns erst auf den Parkplatz, nachdem wir unsere Misere erzählt haben – ohne Aufkleber sehen wir ja aus wie ein Nichtbeteiligter.
Sofort bietet man uns neue Aufkleber an, und wegen der Startnummern geht bestimmt auch etwas. Klasse!
Das Auto parken wir am vorgesehenen Startplatz. Es steht jeweils eine (volle) Kiste Bier da, vorne dran ein Bogen Papier mit der Startnummer. Das Bier ist eine der Rallyeaufgaben, erfahren wir durch die Lautsprecheranlage, die den ganzen Parc Ferme beschallt. Während ich mich um das Anbringen der Aufkleber kümmere, verschafft sich Elisabeth schon mal einen Überblick und kommt mit dem Roadbook (in Englisch) und den großen runden Aufklebern zurück.
Ein Plüschelch bekommt einen Ehrenplatz auf der Motorhaube, wo er sofort magisch das Interesse der Kinder weckt, die als Besucher die Szenerie betrachten. Den Erwachsenen hat es eher mein Wikingerhelm angetan, den ich auf die Schnelle aus zwei Kuhhörnern, einigen Blechresten und einem Stück Leder fabriziert habe. Der findet natürlich ebenso einen Platz auf der Motorhaube.
Um halb zehn wird die Registrierung geöffnet. Wir bekommen Bändchen fürs Handgelenk, ein Holzscheit, einige Sponsorenaufkleber und etwas zu trinken, dazu erste Informationen.
Viele andere Teams fragen uns nach dem Alter des Focus. Wir erzählen unsere Geschichte und zeigen ein Foto vom Libero auf dem Handy. Durchweg bekommen wir dafür viel Anerkennung, dass wir nicht aufgegeben haben und heute hier sind. Thomas Giesefeld begrüßt uns auch – es dauert eine Weile, bis wir ihn als Teilnehmer der Allgäu-Orient-Rallye identifizieren, die wir 2012 gemeinsam gefahren sind. Er hat ein paar Mappen dabi mit Bildern von den vielen Rallyes, die er bereits gefahren ist. Auch eine vom letzten Projekt: Der Dresden-Banjul-Rallye – das klingt nach einem zukünftigen Projekt für uns :). Danke Thomas!
Vor dem offiziellen Start gibt es nochmal ein Briefing, wo die Hilfsprojekte und deren Ansprechpartner vorgestellt werden und auch einiges zum Ablauf gesagt wird. Bevor wir zum Parkplatz gehen, gibt es noch ein Gruppenfoto für die Lebensbrücke mit allen Unterstützern.
Elisabeth hat derweil einige Startnummernaufkleber bekommen. Ein paar Startnummern sind übrig. Wir haben die Wahl, entweder eine dieser Startnummern zu nehmen, oder die unsere zu behalten und aus mehreren Schildern die richtigen Zahlen auszuschneiden und zusammenzusetzen. Wir entscheiden uns für letzteres. Während ich mit einer Zickzackschere (eine andere haben wir auf die Schnelle nicht auftreiben können) die Startnummern passend mache und auf dem Focus anbringe, gibt es bei der Startrampe eine Folkloreaufführung. Danach noch ein großes Gruppenbild mit der gesamten Rallyegemeinde.
Während ich mit dem Kleben beschäftigt bin, klopft mir jemand auf die Schulter. Es ist unser Freund Georg, der extra vorbeigekommen ist, um uns zu treffen. Elisabeth kommt dazu, auch sie freut sich sehr.
Natürlich hat Georg auch von unserem Malheur erfahren und meint, wir wären schon vor dem Start die Sieger, Dazu zieht er eine Schachtel Pralinen aus der Motorradjacke und überreicht uns diese.
Er hilft uns auch bei der ersten Rallyeaufgabe: Im Roadbook klemmt eine Büroklammer, die müssen wir gegen etwas anderes eintauschen. Das Getauschte müssen wir in jedem durfahrenen Land wiederum tauschen. Georg tauscht die wertvolle Büroklammer gegen eine Flasche Sekt ein, die er dabei hat. Wundern tun wir uns bei ihm über gar nichts mehr. Es gibt natürlich ein Übergabefoto.
Währenddessen läuft schon der Start. Team für Team wird aufgerufen und rollt auf die Startrampe, wo es dann von ‚Maschine‘ verabschiedet wird. Manchmal mit guten Wünschen, manchmal mit einem Kommentar zum Teamnamen.
Viele Besucher sprechen uns an, haben Fragen oder wünschen uns eine gute Reise. Wir treffen auch etliche Allgäu-Orient-Rallye Veteranen. Es herrscht eine einzigartige Stimmung auf dem ganzen Platz, was unserer Meinung nach darauf zurückzuführen ist, dass hier alles perfekt organisiert ist. Jeder kennt den Ablauf, das OK wuselt ständig herum und sorgt sich um die Teilnehmer, die Soundanlage sorgt dafür, dass jeder – auch im hintersten Winkel des Platzes – ständig mit den wichtigen Informationen versorgt wird.
Hinter der Rampe reicht Georg die Kamera ins Auto, wir verabschieden uns und fahren los.
Was hier bei der Rallye super ist: Bei der ersten und bei der letzten Etappe darf die Autobahn benutzt werden. So ist es auch für die Teams mit den hohen Startnummern möglich, das Tagesziel zu erreichen, ohne mit Vollgas loszupreschen. Es gibt im Roadbook auch zusätzlich noch drei Joker: Wenn man aus welchem Grund auch immer, eine Aufholetappe braucht, dann trägt man das im Roadbook ein und darf jeweils 300km Autobahn fahren. Das gibt zwar ein paar Punkte Abzug, aber es ist klar definiert und sorgt dafür, dass die Teams nicht die Nächte durchfahren müssen, wenn sie eine Panne haben.
Unser Weg führt uns in Richtung Puttgarden zur Fähre. Kurz hinter Lübeck halten wir an einem Parkplatz an, um dem Dieter aus dem Liberoforum die Hand zu schütteln. Er ist extra hierher gefahren, obwohl wir nicht mehr mit dem Libero unterwegs sind. Wir haben ein wenig Zeit für ein Gespräch – ein Foto macht er auch von uns und unserem Auto. Auch andere Teams kommen in den Parkplatz, jeder begrüßt jeden und erste Ideen werden ausgetauscht, so zum Beispiel, ob man bei der Fähre einen Gruppenrabatt aushandeln kann.
Wir verabscheiden uns von Dieter und fahren weiter. An der Fähre angekommen stellen wir fest, dass es keine Gruppenermäßigung gibt. Wenn man das Fährticket in Kombination mit einem Öresundbrücken-Ticket kauft, dann ist es an die 10 Euro billiger.
Bei den Warteschlangen vor der Fähre jede Menge Rallyeteilnehmer. Natürlich werden wir auch hier oft nach dem Alter unseres Autos geragt. Auch hier sorgt das Bild vom Libero und die Geschichte dazu für Anerkennung. Bald sind wir auf der Fähre, wo wir uns abwechselnd auf oder unter Deck aufhalten und viele Gespräche mit ehemaligen A-O-R-Teilnehmern führen. Nachdem wir die Fähre verlassen haben, wird es Zeit für die nächste Rallyeaufgabe. Ein Teammitglied muss sich der Wikingertaufe stellen. Dabei müssen Hände, Füße und der Kopf komplett in das Wasser der dänischen Ostsee getaucht werden, der Rest darf dabei nicht nass werden. einige der Teams machen das gleich im Fährhafen, Elisabeth findet einen Platz auf der Karte, der uns besser geeignet scheint. Leider haben wir keine detaillierte Dänemark-Karte, so dass wir bald feststellen, dass die Entfernung weit größer ist als gedacht. Schließlich finden wir doch an den Strand – der ist perfekt geeignet und nur eine einzige Strandwanderin schaut unserem seltsamen Treiben zu. Ich übernehme die Aufgabe, während Elisabeth das Ganze mit dem Foto dokumentiert. Unser Helm gehört natürlich auch mit dazu, ein richtiger Wikinger geht nie ohne aus dem Haus. Ab jetzt bin ich ein echter Wikinger – Roadbookaufgabe erfüllt.
Doch da ist ja noch die mit dem Tausch – Dänemark werden wir ja bald wieder verlassen. Auf dem Weg zurück schauen wir bei jedem der auf dem Land verstreuten Häuser, ob wir jemanden finden, den wir zu einem Tausch überreden können. Aber es ist niemand zu sehen. Wir fahren am Tor eines alten Gutshofes vorbei, wo wir gerade eine Hochzeitsgesellschaft aus der Tür kommen sehen. Das wäre die ideale Möglichkeit, meine ich, worauf Elisabeth umdreht. Sie bleibt am Tor stehen, während ich hineingehe und einem der Gäste mein Anliegen schildere. Der meint, er hat im Moment wenig Zeit, weil er sich ums Essen kümmern soll, die Gesellschaft ist gerade in den Speisesaal gewechselt. Ich gehe zurück zum Auto, überlege mir aber dann doch, einfach mal höflich zu fragen und ein eventuelles Nein zu akzeptieren.
Elisabeth kommt mit, ich nehme die Kamera und die Flasche Sekt vom Georg. Wir betreten den Festsaal, wo wir deutlich unterdressed auftreten. Ich gehe hin zum Brautpaar, erkläre, dass wir keine geplante Einlage der Hochzeitsgesellschaft sind und gratuliere den Beiden. Die sind erstmal ein wenig perplex, dann aber doch interessiert. Wir erzählen ihnen von der Rallye und der Aufgabe und fragen, ob sie nicht Lust hätten, etwas gegen die Flasche Sekt zu tauschen und ein Übergabefoto zu machen. Na klar machen wir das, sagt die Braut und weist jemand anderen an, eine Flasche Wein zu holen. Wir dokumentieren die Übergabe, wünschen noch alles Gute und eine schöne Feier und überlassen das Brautpaar wieder der Gesellschaft.
Zurück zur Straße nach Stockholm. Datreffen wir wieder auf andere Teams, jeder Kontakt wird mit freundlichem Winken oder Hupen zelebriert, jeder hat Spaß. Ein besonderes Highlight ist de Öresundbrücke, die Kopenhagen mit Malmö und somit auch Dänemark mit Schweden verbindet. Wir beide befahren sie zum ersten Mal.
Von Malmö aus sind es noch gut 80km bis zum empfohlenen Etappenziel. Obwohl schon gegen neun Uhr scheint die Sonne noch mit Kraft. Im Roadbook steht:
Accomodation: Wild Camping on the Swedish Baltic Coast.
Das haben nicht nur wir vor. Kaum in Ystad angekommen, sehen wir in jedem Waldweg, der zum Meer führt, eines oder mehrere Teams, die gerade das Nachtlager aufbauen. Ich möchte gerne noch etwas weiter. Nach Hammar – irgendwo beim Leuchtturm übernachten, den unsere Karte zeigt. Das wiederum gestaltet sich nicht so einfach. Denn überall, wo es uns gefallen würde, steht entweder ein Verbotsschild oder es ist ein Tor zu.
Dann finden wir doch noch einen Feldweg, der einen Hügel hinauf führt. Unten nur ein Schild, dass dies ein Traktorenweg ist und dass man vorsichtig fahren soll. Das tun wir auch. Oben gabelt sich der Weg, wir nehmen den Besseren, der an einer gemähten Wiese endet. Den Scheitel des Hügels haben wir noch nicht erreicht. Elisabeth geht zu Fuß weiter, ich fahre mit dem Focus langsam hoch. Wir erreichen eine Steilküste mit dem idealen Übernachtungspatz für uns. 22:15. Hinter uns ein grandioses Farbenspiel des Sonnenunterganges, vor uns der Mond, der durch die Wolkenfetzen bricht und unter uns das Rauschen der Ostsee.
Ein Tisch mit zwei Bänken ist wie für uns hier aufgestellt. Während wir auf dem Kocher unser Abendessen zubereiten genießen wir die Szenerie. Eine Flasche weitgereistes Bier aus Rumänien rundet das Nachtmahl für Elisabeth ab. Danach ziehen wir uns in unser Schlafgemach zurück, der Bierkasten kann hier unbedarft draußen bleiben. Elisabeth schläft sofort ein, während ich mich noch um den Tagebucheintrag kümmere.